Leitung: Prof. Dr. Markus Knauff,
PD Dr. Carsten Bäcker
Beteiligt: Dr. L. Estefania Gazzo Castañeda, Benjamin Sklarek
Institutionen: Justus-Liebig-Universität Gießen, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Abstract
Neue Forschungsergebnisse zum konditionalen Schließen zeigen, dass Personen gültige Konklusionen zurückziehen, wenn sie sich Situationen
vorstellen können, in denen die Anwendungsbedingung der Regel erfüllt ist, daraus jedoch nicht die Konsequenz folgt. Kognitionspsychologen
bezeichnen solche Situationen als Gegenbeispiele, Ausnahmen oder Anomalitäten. In den letzten Jahren haben wir die Anfechtbarkeit und die
Rolle von Gegenbeispielen beim konditionalen Schließen untersucht. Dabei haben wir rechtliche Konditionale wie "Wenn eine Person eine andere
Person tötet, dann soll die Person wegen Totschlags verurteilt werden" verwendet. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Gegenbeispiele,
beispielsweise Fälle von Notwehr, von Personen mit und ohne juristischer Ausbildung unterschiedlich berücksichtigt werden. Juristen folgen in
der Regel den Vorgaben des Gesetzes, während sich juristische Laien in ihren Entscheidungen meist von ihrer moralischen Empörung und
persönlichem Gerechtigkeitsempfinden leiten lassen. In den nächsten drei Jahren wollen wir die Forschungsthemen Anfechtbarkeit von
Konklusionen, rechtliches Schlussfolgern und menschliche Rationalität noch enger miteinander verbinden. Dazu werden wir neue Beziehungen
zwischen nicht-monotonen Logiken und der Berücksichtigung von Gegenbeispielen bei rechtliche Schlussfolgern herstellen. Wir planen dazu eine
Reihe von Experimenten, in denen wir untersuchen, wie die Wahrscheinlichkeit und die Glaubwürdigkeit von Gegenbeispielen das Schließen mit
rechtlichen Konditionalen beeinflusst. Wir werden auch untersuchen, welchen Effekt es hat, ob die rechtlichen Konditionale faktisch ("wird
verurteilt") oder deontisch ("soll verurteilt werden") formuliert sind. Ein weiteres Forschungsthema ist die Abwägung zwischen
verschiedenen miteinander konfligierenden Grundrechten (Balancierung). In dem Projekt sollen Experimente durchgeführt werden, die es
ermöglichen, die empirischen Entscheidungen juristischer Laien und Experten mit den Normen der Verfassungsordnung zu vergleichen. Im
theoretischen Teil des Projekts sollen die experimentellen Ergebnisse im Rahmen verschiedener nicht-monotoner logischer Systeme modelliert
werden, die in der Künstlichen-Intelligenz-Forschung und Philosophie entwickelt wurden. Das Ziel ist die Entwicklung einer umfassenden Theorie
der Anfechtbarkeit rechtlicher Schlüsse und Argumente. Diese Theorie soll dann nicht nur im psychologischen Labor überprüft werden, sondern
auch unter realistischen Alltagsbedingungen, in denen juristische Experten und Laien zu rechtlichen Entscheidungen kommen oder Urteile bewerten.
Durch die enge Zusammenarbeit von Psychologen und Juristen wird in dem Projekt der aktuelle Forschungstand in beiden Fächern berücksichtigt und
um neue Aspekte erweitert. Die Ergebnisse sind für die Kognitive Psychologie und Rechttheorie bedeutsam. Sie sind aber auch
gesamtgesellschaftlich relevant, insbesondere wenn juristische Fälle in das Rampenlicht der Öffentlichkeit gelangen.
Projektrelevante Veröffentlichungen
Gazzo Castañeda, L. E., & Knauff, M. (2016). Defeasible reasoning with legal conditionals.
Memory and Cognition, 44 (3), 499-517.
Gazzo Castañeda, L. E., & Knauff, M. (2015). When will is not the same as should: The role of modals in reasoning with legal conditionals.
The Quarterly Journal of Experimental Psychology.
Gazzo Castañeda, L. E., Richter, B., & Knauff, M. (2015). Negativity bias in defeasible reasoning.
Thinking and Reasoning, 22 (2), 209-220.
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Bezug zur ersten Förderperiode des SPP1516
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